Montag, 6. Juli 2009

Die Eroberung Karlsruhes

von Christoph Ohlrogge

In der Nacht des 3. April stießen die erste französische Armee und Panzerverbände der siebten US-Armee von Blankenloch kommend in Richtung Süden und Südosten vor. Daher bestand für die 257. Volksgrenadierdivision, die eigentlich die Verteidigung Karlsruhes übernehmen sollte, Einkesselungsgefahr. Da Blankenloch nun verloren gegangen war, und die Front auf dem Karlsruher "Nordriegel" viel zu breit war, um einen gezielten alliierten Angriff zurückzuschlagen, und außerdem durch die in Eggenstein und Blankenloch stehenden Panzertruppen ein Zangengriff drohte, beschloss der "1a" der Berliner "Bärendivision", Oberstleutnant Ernst Linke, die Verteidigungsstellung zu verlassen und zur Schwarzwaldrandstellung zurückzuweichen. Drei Regimenter erhielten als Nachhut den Befehl, den Nordriegel zu halten und später abzurücken.
Währenddessen stieß der französische Vorstoß ins Leere, weil sich die 257. VGD schnellstmöglich zurück gezogen hatte. Der Oberbefehlshaber der ersten französischen Armee, General Lattre de Tassigny, rechnete mit einer starken Verteidigung Karlsruhes, und ließ so seine Truppen nur vorsichtig sichernd vorrücken. Noch in der Nacht wurde Neureut von marokkanischen Einheiten besetzt, wenig später standen Panzerspitzen in Knielingen. Als die an der nicht mehr befahrbaren Rheinbrücke stationierten deutschen Pioniere das Fahrge räusch der ersten anrückenden Panzer hörten, sprengten sie die Brücke in die Luft. Weitere Sprengungen von Häusern, deren Trümmer dann als Panzersperre dienen sollten, wurden größtenteils von der Polizei ver hindert. Schließlich gingen die marokkanischen Panzer und Infanteristen im Schloßpark in Stellung, von wo sie die planmäßige Eroberung der Stadt vorbereiteten.
Im Morgengrauen des 4. Aprils wurden die Barrikaden im inneren Verteidigungsring der Stadt mit Hitlerjungen, Volkssturmmännern und Luftwaffensoldaten bemannt. Größtenteils waren diese Einheiten mit Panzerfäusten ausgerüstet, um die gefürchteten französischen Panzer zu zerstören. In den Kellerräumen und Luftschutzbunkern wurde nach Fahnenflüchtigen und Wehrfähigen gesucht, wer gefunden wurde, musste sofort bei der Verteidigung mithelfen. Die meisten Volkssturm einheiten marschierten in Richtung Schwarzwaldrandstellung, wurden aber schon bald wegen schlechter Ausrüstung und Munitionsmangel wieder zurückgeschickt.
Am Morgen begannen dann die Franzosen, mit zwei Divisionen in Stoßkeilen aus verschiedenen Richtungen die Stadt anzugreifen. Nur wenige deutsche Soldaten, die sich noch in Karlsruhe befanden, leisteten Widerstand. Einige Nachhuten der 257. VGD kreuzten auf ihrer Flucht das Blickfeld der Franzosen, konnten aber noch entkommen. Im Großen und Ganzen wurde den Angreifern entgegen des Berichts der Wehrmacht und des Berichts von General Lattre de Tassigny fast gar kein Widerstand geleistet. Die wenigen zurückgebliebenen Volkssturmmänner und Polizisten bemerkten erst jetzt, dass sich die "Bärendivision" in den Schwarzwald abgesetzt hatte, obwohl der Kampfkommandant am vorherigen Tag noch lautstark verkündet hatte, die Stadt sei um jeden Preis zu halten.
Gegen acht Uhr gab es bei der Orangerie ein Feuergefecht zwischen französischer Infanterie und einer Abwehrgruppe, die von einem Luftwaffenoffizier geführt wurde. Die Gruppe zog sich dann wenig später zurück, als sie merkte, dass der Widerstand sinnlos wurde. Sowohl am Mühlburger als auch am Durlacher Tor gab es leichte Gefechte, sowie am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz). Allerdings gaben die Verteidiger sofort auf, wenn Panzer ihre Geschütze in die Barrikaden hineinfeuerten. Nur am Mühlburger Tor feuerte ein Hitlerjunge die einzige verbliebene Panzerfaust auf einen französischen Panzer ab und wurde von diesem erschossen.
Um 8.30 Uhr gab es ein heftiges Gefecht am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz). Polizisten, die sich hinter Sandsäcken vor dem Polizeipräsidium verschanzt hatten, eröffneten das Feuer auf die französischen Panzer und die Infanteristen, die vom Schlossplatz aus in Richtung Süden vorstießen. Die Franzosen schossen nun natürlich aus allen verfügbaren Rohren, und brachten auch Maschinengewehre in der Dresdner Bank und im Hiller-Block in Stellung, um das Polizeipräsidium zu beschießen. Die Panzer feuerten vor allem auf die Barrikade am Ettlinger Tor, wo auch einige Polizisten in Deckung lagen. Die hatten allerdings den gegnerischen Angriff aus der Gegenrichtung erwartet, und wollten nun zur Unterstützung ihrer Kollegen nach Norden über die Karl-Friedrich-Straße vorstoßen. Am Rondellplatz jedoch starben sie im Feuer eines Panzers, der hinter der Marktplatzpyramide in Stellung gegangen war. Die Besatzung des Polizeipräsidiums sprengte daraufhin den Befehlsstand im Keller und verließ das Gebäude durch den Hinterausgang. Sie flüchteten nach Ettlingen und schlossen sich dort mit versprengten Polizisten zusammen. Die Polizisten, die versuchen, durch den Landgraben zu fliehen, werden am Messplatz von einer französischen Einheit festgenommen.
Das in Eilmärschen aus Heilbronn herbeigeführte Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 380 folgte dem Beispiel der 257. VGD. Statt die französische Armee in Häuserkämpfe zu verwickeln, und bei der Verteidigung der Heimatstadt zu sterben, lief die gesamte Truppe einfach auseinander und löste sich praktisch auf.
Die Stoßkeile der Franzosen vereinigten sich in der Innenstadt. Von dort aus begannen sie mit dem systematischen Durchkämmen der Straßen und Häuser. Um 10.30 Uhr schlug General Jean-Etienne-Valluy, Kommandant der 9. Kolonial-Infanterie-Division, im Polizeipräsidium am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz) sein Hauptquartier auf. Gegen 11.00 Uhr waren die Innenstadt, der Westen, der Süden bis zum Hauptbahnhof und die östlichen Stadtteile außer Durlach und Durlach-Aue von den Franzosen besetzt. Größtenteils kampflos war die Stadt geräumt worden, und es waren (noch) keine Gebäude und Zivilpersonen zu Schaden gekommen. Anders wurde dies im Bericht der 257. VGD dargestellt: "Aus dem Einbruchsraum am Schloss setzte der Feind seinen Angriff im Zuge der nunmehr strahlenförmig nach allen Richtungen der Stadt auseinanderführenden Straßen fort, trieb damit zwangsläufig die Kräfte des Grenadier-Regiments 466 auseinander und drängte es in erbitterten Häuserkämpfen und unter erheblichen eigenen Verlusten durch die Stadt nach Süden"(Josef Werner, Karlsruhe 1945 - unter Hakenkreuz, Trikolore und Sternenbanner, S. 83). Auch General Lattre de Tassigny sparte nicht mit Übertreibungen: "Heftige Kämpfe entbrennen an den mit Betonmauern verriegelten Zugängen zur Stadt Karlsruhe". Da die Meldung der 257. VGD einige Zeit später im Radio gesendet wurde, zweifelten die Bewohner Karlsruhes, die ja die Erstürmung miterlebt hatten, endgültig an der Glaubwürdigkeit der Wehrmachtsberichte.

© Stadtarchiv Karlsruhe

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