Montag, 6. Juli 2009

Einmal „Dörfle“ und zurück . . .

Wer mit dem Auto nach Karlsruhe kommt, wird von einem kaum übersehbaren Schild begrüßt ...


... und denkt sich vielleicht: „Oha, was mag das für eine Stadt sein?“
Es ist Karlsruhe, die Stadt mit ihrem fächerartigen Straßenmuster, ein etwas groß geratenes Dorf, einklemmt zwischen den Ausläufern des Nordschwarzwalds und den Nordvogesen. Punkt.
Als „gebürtiger" Karlsruher, der nach vielen Irrungen und Wirrungen, nach vielfältigen geografischen Ausrutschern immer wieder reumütig in seine Heimatstadt zurückgekehrt war (und nun hier wohl auch bleibt), habe ich im Laufe meines nunmehr 52-jährigen Lebens viele Gesichter Karlsruhes erlebt. Vielleicht ist es das generelle Problem einer „jungen“ Stadt, immer wieder das eigene Ich hinterfragen zu müssen, Bilder zu schaffen, die manchmal kaum etwas mit der Stadt und seinen Menschen zu tun haben. Doch gestehen wir Fehler zu, denn allzu oft hat die Geschichte gezeigt, dass ein andauerndes Suchen letztendlich doch zu einem Konsens zwischen einer Stadt und den Menschen, die in ihr leben, führen kann. Karlsruhe ist für diese Binsenweisheiten ein Beispiel, vielleicht nicht charakteristisch, aber die Stadt am Rhein und ihre Menschen haben schon oft bewiesen, dass sie auf dem Boden bleiben und manchen im Rathaus geborenen Visionen mit badisch-ironischer Skepsis begegnen können. Ich lade Sie ein, mich auf meiner Spurensuche zu begleiten, in eine Reise durch die Stadt und durch die Zeit. Und verzeihen Sie mir schon jetzt den einen oder anderen Blick durch die rosa Brille, die ich mir gelegentlich auf uns auf unserem Weg in die Vergangenheit aufsetzen werde. Unsere Reise beginnt da, wo man das Epizentrum dieser Stadt vermuten kann, am Marktplatz. Sich in Karlsruhe verirren, irgendwie fragen zu müssen „Können Sie mir bitte sagen, wo…“, erscheint so unvorstellbar wie ein Sechser im Lotto. Wer am Marktplatz einem der gelben, mit bunter Werbung betupften Straßenbahnwaggons entsteigt, findet sich gewissermaßen im Zentrum der fächerartig verlaufenden Straßen der Karlsruher Innenstadt wieder. Eingekeilt zwischen Rathaus, Polizeipräsidium und Stadtkirche (Weinbrenner lässt grüßen) breitet sich der Marktplatz aus. Nach einem umgreifenden Blick erkennen wir, dass der Marktplatz 3 (!) Banken beherbergt, steht irritiert vor jenem spitz zulaufenden Gebilde und fragen uns „Ägypten, oder was?“ Eine Pyramide im Mittelpunkt dieser Stadt mit dem etwas seltsamen Namen, der auf den Gründer verweist? Nomen est omen erkennt der Betrachter schnell, nach etwas intensiverem Studium der durch die Pyramide durchaus bereitwillig dargebotenen Erläuterungen, die vor scheinbar ewigen Zeiten in das Rotbraun des geschliffenen Buntsandsteins eingraviert wurden. Und versteht, warum manch Norddeutscher die geografische Lage Karlsruhes als Vorort von Köln definiert, erkennt den kausalen Zusammenhang mit der Entscheidung, nach dem Ende jenes unseligen 1000-jährigen Reiches nicht Karlsruhe sondern Stuttgart als Landeshauptstadt zu bestimmen. Nach einem Rundgang um die Pyramide, vorbei an den beiden Abgängen der ehemals „öffentlichen Bedürfnisanstalt“, die schon in wilhelminischer Zeit den kleinen und großen Karlsruhern eine gewisse Erleichterung verschafft hatten, ahnen wir schon eine sympathische Behäbigkeit, mit der in Karlsruhe Vieles geht (Einiges leider auch nicht). Unser Blick schweift in Richtung Schloss, nimmt den braunen Schilderwald wahr, mit dem sich Karlsruhe als Stadt des Rechts darstellt, und fragt sich, ob diese doch an und für sich freundlich wirkende Stadt mit ihrem beinahe dörflichen Charakter dies wirklich nötig hat. Marktplatz mit Pyramide und Rathaus Aber nun wollen wir uns endlich dieser Stadt nähern, ein Bild dieser Stadt und ihrer Menschen schaffen. In welche Richtung sollen die Schritte gelenkt werden? Da bietet sich der Norden an mit dem bereits genannten Schilderwald, dahinter liegend das Schloss mit dem für Karlsruhe typischen Grün, die ehemalige markgräfliche Residenz, die nun das Badische Landesmuseum beherbergt. Eine Drehung um 180 Grad und der Blick verhakt sich wie selbstverständlich an dem im Zentrum des Rondellplatzes platzierten Obelisken, der mit seinen beiden Greifen wie ein Wächter den Zugang zum Marktplatz kontrolliert. Oder einfach mal die in Ost-West- Richtung verlaufende Kaiserstraße rauf- und runterflanieren, vorbei an den unzähligen Geschäften, aber auch an den „Ruinen“, in denen vor nicht allzu langer Zeit noch Handys, 1-Euro-Ramsch oder unbezahlbare Klamotten verkauft wurden? Nein, dann sich doch besser Bodenständigen zuwenden, den Wurzeln, aus denen diese Stadt im 18. Jahrhundert entsprungen war: „Dörfle“.Das „Dörfle“, die eigentliche Altstadt Karlsruhes, beginnt (oder endet, je nach Betrachtungsweise) mit der Zähringerstraße, die parallel zur Kaiserstraße den „alten“ Teil Karlsruhes durch- schneidet, diesen verlässt, um sich dann in der Marktplatz zu ergießen. Die ersten Schritte in die Karlsruher Vergangenheit führen zwischen der Dresdner Bank und dem so genannten Weinbrennerhaus hindurch.Friedrich Weinbrenner, Architekt und klassizistischer Baumeister hat Karlsruhe mit seinen irgendwie an Schinkel erinnernden Bauten geprägt wie kaum ein anderer Mensch. Alte Kanzlei, Karlsruher Hoftheater, Ständehaus, die Karlsruher Stadttore, und andere mehr oder minder klassizistische Bauwerke hat der Badische Baudirektor geschaffen (einige nur noch in der Erinnerung existent), mit denen er Karlsruhe einen Stempel aufgedrückt, der eine Nähe zu Italien erahnen lässt, und dem Besucher, gerade in den oft schwül drückenden Sommermonaten, eine Aura von südländischer Gelassenheit vorgaukelt, die sich träge über die Gassen und Straßen legt.Aber zurück zum „Dörfle“. Wir lenken unsere Schritte in die Zähringerstraße , die uns einige Zeit auf unserem Weg ins „Dörfle“ begleiten wird. Diese Straße wurde benannt nach dem Adelsgeschlecht der Zähringer, das1057 in dem Grafen Berthold I. von Zähringen seinen Ursprung und nach langen Hin und Her, Kreuz und Quer, schließlich ein Ende fand in den badischen Markgrafen, zu den auch der Gründer Karlsruhes zählt, der etwas seltsame Karl Wilhelm von Baden-Durlach. Nach wenigen Meter öffnet sich nach links ein kleiner Platz.An sonnengeschwängerten Tagen fordern hölzerne Bänke und Tische zu einer Rast auf, symmetrisch auf dem Kopfsteinpflaster ange- ordnet, teilweise vom Blattwerk der einzelne Bäume (und Bäumchen) beschattet. Schnell vergisst man die vor und hinter einem vorbeihastenden Menschen, überhört die Geräuschwolke, die sich von der Kaiserstraße links und rechts an der Kleinen Kirche vorbeidrückt, die den Platz zusammen mit der ehemaligen „Spanischen Weinhalle“ und dem Schul- und Sportamt abgrenzt und dabei ein eckiges U bildet.Obwohl eigentlich nichts dagegen spräche, sich auf einer der Bänke niederzulassen, um vergleichsweise schnell von einer der jungen Frauen entdeckt zu werden, die – kaum hat man Rucksack, Einkaufstüte oder ähnliche Begleiter mehr oder weniger dekorativ auf Bank und Tisch platziert – geschäftstüchtig herbeirauschen, um die Bestellung eines kühlen Biers oder einer deftigen Portion Schinkennudeln aufzunehmen. Eigentlich spräche wirklich nichts dagegen, aber andererseits wollen wir ja irgendwann unser Ziel erreichen.Also geht es weiter, vorbei an den Symbolen des Sanierungsrausches der 70er Jahre, mit Graffiti verziert, einerseits nicht ganz richtig, daneben auch irgendwie künstlerisch. Wir legen einen Schritt zu, ignorieren auch die quer verlaufende Adlerstraße und stehen plötzlich vor einem der vielen Zankäpfel in Karlsruhe: Kronenplatz. Eigentlich als kulturelles Zentrum mit vielen Bäumen geplant, breitet sich der Platz etwas blass neben der „Rialto-Brücke“ aus, das Grün ziemlich minimalistisch an den Rand gedrängt, und der kulturelle Austausch reduziert sich oft auf das JUBEZ. In dem dann Kultur allerdings wirklich groß geschrieben wird, und meistens begegnen wir einigen Jugendlichen, die in den 60er Jahren als Gammler bezeichnet worden wären, heute aber so zwischen Punker und Penner eingestuft werden.Ein nettes Volk, seltsam anzuschauen, aber neben den Obst- und Gemüseständen der einzige Farbklecks auf diesem eher grau gehaltenen Platz. Bevor wir aber in tiefer Frustration versinken, das eine oder andere Schmankerl bietet der Platz dann doch noch. Er bietet etwas für Architekturinteressierte, für Bücherwürmer gibt es das „Antiquariat am Kronenplatz“ und die wohl kleinste Pizzeria Karlsruhes direkt auf der Rialto-Brücke.Begleiten Sie mich nun über die Rialto-Brücke. Ein eher unscheinbares Bauwerk ist sie, die Urheber hatten sich wohl mehr an der Zweckmäßigkeit orientiert als an architektonischer Schönheit. Und doch liegt am Ende der Brücke ein kleines kulinarisches Schmankerl. Schüchtern, im Schatten der Brücke und der angrenzenden Gebäude liegend, finden wir nach einem Blick nach links über das Brückengeländer die Metzgerei Nägele. Es verwundert ein wenig, dass beim Öffnen keine Ladenglocke ertönt, eigentlich hätte man dies erwartet. Die Vergangenheit grüßt: Herrlich duftende Würste preisen sich da an, an Fleischerhaken hängend, heben sich mit Rot- und Brauntönen von den weißen Fliesen ab, die sich symmetrischer Harmonie auf den Wänden verteilen. Hier wäre nun die ideale Gelegenheit, um sich für den weiteren Marsch ins „Dörfle“ zu stärken. Natürlich könnte man sich ein Brötchen mit ein paar Scheiben Salami oder Schinkenwurst belegen lassen. Aber besser ist es, Nägeles „Spezialität“ zu probieren, das Brötchen mit dampfendem Fleischkäse belegen lassen (der Karlsruher sagt dazu „Floischkäsweck“).Nachdem wir, mit Floischkäsweck-Tüten bewaffnet, den Laden verlassen haben (und wieder hat es nicht geklingelt) und einige Schritte gegangen sind, das „Dörfle“. An dieser Stelle überlasse ich Sie für einige Zeit Ihrem Schicksal, um einen alten Bekannten zu besuchen. Gehen Sie ruhig weiter, tauchen Sie schon einmal ein in den Teil der Zähringerstraße, der mit seinen teilweise schönen alten Häusern und den kleinen abgehenden Straßen das Quartier der Rotlichtszene gewesen war. Schon bald stoßen Sie auf einen kleinen Platz, dessen hervorstechendstes Merkmal die mächtigen Kastanien sind, die dem Platz einen, vor allem im Sommer wohltuenden Schatten spenden. Setzen Sie sich auf eine der Bänke, die unter den Kastanien zu einer Pause einladen. Ich selbst betrete zwischenzeitlich den kleinen Laden an der Ecke Waldhornstraße. Bernhard, den ich nun schon seit weit über 40 Jahre kenne, ist in die Fußstapfen seiner Eltern getreten, und betreibt hier einen kleinen Laden, in dem Zeitungen, Zeitschriften, Comics und allerlei mehr oder weniger Nützliches zu kaufen gibt. Gerade an trüben, meist auch regnerischen Tagen entstehen dann wie aus dem Nichts jene „Weißt-du-noch“-Gespräche, wie sie so typisch sind für Menschen, die ein bestimmtes Alter überschritten haben. In Gedanken sehen wir dann zwei Knirpse, wie sie nach dem Unterricht in den Laden von Bernhards Mutter stürzen, im Hinterzimmer verschwinden, in den Ohren noch die Ermahnung, die Hausaufgaben nicht zu vergessen. Und dann sitzen sie da, an dem ausgedienten Küchentisch mit seiner abgewetzten Resopalplatte. Schweigsam sind sie und tief versunken, aber nicht in ihre Hausaufgaben. In diesen Stunden leben die beiden Freunde in ihrer Traumwelt, die bevölkert wird von Falk, Sigurd, Tarzan und wie die Helden in den bunt bebilderten Heftchen noch heißen mögen. Jahrzehnte später sitzen sie wieder zusammen, erinnern sich und wissen, dass dies alles der Vergangenheit angehört. Und das ist gut so. Dann noch ein „Ade, Bernhard.“ und ein „Ade, Hans“, und jeder geht wieder in seine eigene Welt. Schön wäre es, wenn dies tatsächlich passiert wäre, ich Bernhard nie aus den Augen verloren hätte. Seine Stetigkeit und meine jugendliche Umtriebigkeit haben dies leider verhindert. Aber, wer weiß?Ich hoffe, Sie haben sich nicht gelangweilt, haben die Zeit genutzt, sich ein bisschen umzuschauen und dabei den Rest Ihres „Floischkäswecks“ seiner endgültigen Bestimmung zukommen zu lassen. Hier am Fasanenplatz sind wir also im Zentrum der so genannten „Rue de la Quack-Quack“, wie dieser Teil des „Dörfle“ früher einmal genannt worden war. Es war das Revier der „Damen des horizontalen Gewerbes“, die in ihren Röckchen, mehr ein breiter Gürtel, in meinen Kinder- und Jugendtagen nicht nur den Erwachsenen zu einem erhöhten Pulsschlag verhalfen. Sie waren damals so etwas wie das kulturelle Zentrum des „Dörfle“: Tratschbörse, Schutzengel bei allzu eifrigen „Knöllchenschreiberinnen“, Plattform verbaler und nonverbaler Aggression, leider oft auch der Sack, auf den man schlägt, wenn einer der Zuhälter zu viel Alkoholisches intus hatte oder ihm einfach der Gaul durchging. Ich weiß, wovon ich schreibe, schließlich habe ich einige Zeit (leider viel kurz) hier mein Leben verbracht. Mit ihrem (Beinahe-) Verschwinden und der Sanierungs wut der Stadtoberen in den 70er- und 80er-Jahren hat das „Dörfle“ einiges an Flair verloren.Der Lebenssituation, die an manchen Stellen irgendwie an ein Ghetto erinnerte, und der Armut der Menschen zum Trotz hatte sich hier über einen langen Zeitraum hinweg ein soziales Miteinander entwickelt, in dem es halt „menschelte“. Nach dem sozialen Umbruch, den die Sanierung der Altstadt hinter sich her zog, wurde die bereits erwähnten Damen in eine kleine abgeschlossene Nische, der heutigen Brunnenstraße, umgesiedelt, den Menschen, die noch wirklich „gschwätzt habe“, waren die Mieten zu hoch geworden und mit diesen erlebte ich eine etwas andere Form der „Zwangsumsiedlung“, geblieben waren in bestimmten Reservaten die Studenten. Die „Neudörfler“, überwiegend Architekten, Rechtsanwälte, halt „Gschdudierte“, konnten diese Gegend nicht prägen (was ich persönlich als Vorteil betrachte), sodass sich hier ein kaum beachtetes harmonisches Vakuum entwickeln konnte, mit idyllischen Gassen, in denen spielende Kinder genau so eine Heimat gefunden haben wie die Besucher der Kneipen mit ihren reizvollen Biergärten, die meist in den Hinterhöfen zu finden sind. Aber auch Kultur und Bildung haben sich nicht lumpen lassen: Das Kindertagesheim St. Angela, das Studentenzentrum „Z10“, kleine Galerien und das Künstlerhaus vervollständigen das ruhige und bunte Bild des neuen „Dörfle“.Zurück zum Fasanenplatz, von dem aus wir unsere Spurensuche im „Dörfle“ fortsetzen wollen. Im Schatten der Kastanien stehend, eine der letzten „Donecker“-Säulen im Rücken, sehen wir das „Gitanes“ mit seinem Straßencafé, aber vor allem das „Café Wien“, das allerdings alles Andere ist als ein Café. Es ist zwar nicht mehr der Ort, an dem ich irgendwann in den 70ern Wolfgang Niedecken und seine Gruppe BAP nach einem Konzert in der Schwarzwaldhalle „privat“ und bierselig erleben durfte. Aber immer noch wird das „Café Wien“ von einem bunten Völkchen frequentiert. Ein letzter Blick über den Platz, dann gehen wir die Zähringerstraße weiter, das Ende ist schon in Sicht, vorbei am Studentenzentrum „Z10“, und stoßen auf eine quer verlaufende Straße, die früher einmal Brunnenstraße hieß. Heute gilt dieser Name nur noch für das nach links abzweigende Rudiment, der nach rechts verlaufende Straßenteil heißt jetzt "Am Künstlerhaus".In diese Straße lenken wir jetzt unsere Schritte, passieren das „Künstlerhaus“, das der Straße seinen neuen Namen gegeben hat, und gelangen zur Gaststätte „Zum Pfannenstiel“. Bevor wir nun den schmalen Durchgang betreten, der uns dem Ziel näher bringt, gönnen Sie mir und meinen Erinnerungen etwas Zeit.Hier habe ich gewohnt, gemeinsamen mit meinem Freund „Bimbes“. Ich sehe noch deutlich das alte baufällige Fachwerkhaus mit dem riesigen Eingangstor, davor unser knallgrüner Fiat Jagst, sorgsam beschützt vor „Knöllchenjägerinnen“ durch leicht bekleidete Frauen, die während ihrer Arbeit immer noch die Zeit fanden, umherschweifende Uniformträgerinnen davon zu überzeugen, dass die Kunden, denen dieses froschgrüne Auto gehört, gleich wieder da sein werden. Ich verzeihe ihnen, dass sie „Bimbes“ und mich in diese Schublade einsortiert hatten, haben sie uns doch vor einer Strafzettelflut bewahrt, aber auch, weil sie mit manchem Schwätzchen unser Leben so überaus bereichert hatten. Wir teilten das Haus mit zwei Hunden, drei Hühnern und einigen sehr lieben Menschen, und wenn jemand damals so etwas wie Abenteuer in der Stadt gesucht hätte, so wäre er in diesem kleinen Haus in Brunnenstraße mit seinem Kopfsteinpflaster bewehrten Hinterhof sicher fündig geworden. Die Menschen und Tiere dieses Hauses, mit denen Zusammenleben ein stetiger Wechsel aus Hochs und Tiefs gewesen war, haben sich in der Weltgeschichte verlaufen, das Haus wurde abgerissen, und trotzdem denke ich gerne an die Zeit zurück.Aber nun lassen Sie uns zum Endspurt ansetzen, nur noch wenige Meter trennen uns vom Ziel der heutigen Spurensuche. Folgen Sie mir durch den düsteren Gang, an dessen Ende der Biergarten des „Pfannenstiel“ liegt, lediglich kleines Intermezzo auf dem Weg zu dem direkt dahinter liegenden Biergarten, der zum „Vogel“ gehört.Mischen wir uns unter das Volk, das hier die Bierbänke und –tische besetzt hält. An Samstagen herrscht hier meist die Farbe Blau vor, dann nämlich, wenn eines der Spiele des KSC auf überdimensionalen Bildschirmen oder Leinwänden übertragen wird. Hocken wir uns ruhig zu einer Gruppe der Blau-Weißen und hören ihren sportlichen Fachsimpeleien zu. Die erste Bestellung überlasse ich Ihnen, doch sollten Sie keinesfalls ein Bier bestellen. Dies würde zwangsläufig dazu führen, dass Sie eine der jungen, attraktiven und vor allem freundlichen Frauen, die für das überwiegend flüssige leib-liche Wohl sorgen, mit sorgevollem und fragendem Blick taxiert, in die Kategorie „Touri“ einstuft, und in überbetontem Hochdeutsch nach der Art des Bieres fragt, das Sie trinken möchten. Bestellen Sie, nach einem kurzen Blick auf eine, der mit weißer Kreide beschrifteten Tafeln ein Pils (das es hier übrigens nicht in den sonst üblichen „Tulpen“ gibt), ein Märzen, ein Hefe oder was der Chef Rudi Vogel sonst noch an leckeren Hefesäften gebraut hat.Und dann, wenn Sie genug von mir und meinem Geschwätz haben, partout „weiter“ wollen, verlassen Sie den Biergarten zur anderen Seite hin, treten auf die Kapellenstraße, schauen nach links und erblicken dort den Turm der Bernharduskirche. Gewissermaßen zu Füßen der Kirche von St. Bernhard liegt Ihr Ziel, von dem aus Sie wieder zurück zum Marktplatz kommen, die S-Bahnhaltestelle Durlacher Tor.Vielleicht sitze ich dann immer noch auf der Bank, die ich kurzer Zeit mit Ihnen geteilt hatte, vor mir ein frisches Pils, denke über Sie und all das Gesagte nach, was ich vielleicht besser nicht oder anders gesagt hätte, und hoffe, dass Sie mich bald wieder auf einer meiner Spurensuchen begleiten werden.

Ein Hauch von Provinz

von Professor Siegfried Rietschel

Die erste Beziehung war auf große Distanz: Patenonkel Georg, der Bruder des Vaters wurde vom Amtsgericht Urach zum Bundesrichter berufen. Von da an läuft der Tausch von Briefmarken über das unbekannte Karlsruhe; von dort kommen nun die liebevoll ausgesuchten Buchgeschenke in Dünndruckausgaben - es wird lange dauern, bis Kleist und Hebel wieder nach Karlsruhe zurückkehren.
In den fünfziger Jahren wird mir Karlsruhe zum Begriff. Zunächst als Beginn jener Autobahnsteigung, bei der die wackere 98er Viktoria-3-Gang dreimal eine frische Zündkerze braucht. Das heißt dreimal ob der verbrannten Finger fluchen. Dann wird Karlsruhe Beiwort zu den drei Autobahnausfahrten Durlach, Rüppurr und Ettlingen, die, dicht hintereinander, nicht zum Halt verlocken, wenn das Urlaubsgepäck im Auto drückt.
Die ersten Begegnungen mit der Stadt haben traurige Anlässe. Beerdigungen werden zu ungeplanten und ungewollten Familientagen, bei denen die Jungen nicht wissen, wer unter den Alten wer ist. Tanten und Onkel, die heitreren Beispiele in den Kindheitserinnerungen der Eltern, stehen teils betulich, teils hilflos umher und begrüßen mit feuchten Augen, Nasen und Mündern. Die Jungen entfliehen schließlich der schwarzen Schar mit der Alternative Stadtgarten und Schlossgarten. Der Schloßgarten, dem Friedhof näher, vermittelt das später immer wiederkehrende Erlebnis lieblicher offener Parklandschaft. Das durchsonnte Grün von mächtigen alten Bäumen und gepflegten Rasen, die mannigfaltigen Farbtupfer der Blumenrabatten überstrahlen bald den traurigen Anlass. Das Bild prägt sich dauerhaft in der Erinnerung ein.
Viele Jahre später, 1976, wird Karlsruhe durch die Jahrestagung der Paläontologischen Gesellschaft zu einem wichtigen Fachforum. Für die Fahrt von Frankfurt aus schrumpfen die drei kalkulierten Stunden aus der alten Motorradzeit auf die Hälfte. Das Universitätsgelände lockt kaum zum Verweilen; erst nach Campus-Erfahrungen in den USA wird es mit anderen Augen gesehen und geschätzt. Abends, in biedermeierlicher Atmosphäre gibt es lange Gespräche mit der liebend und rührend besorgten Tante. Tags, im nüchternen Chemieflachbau, Vortrag auf Vortrag, bis sich die innere Spannung löst, weil der eigene Vortrag durchgestanden ist. Das Vortragsthema, der Urvogel Archaeopteryx, wird dann Jahre danach von Karlsruhe aus als Forschungsthema weiterverfolgt.
Diese Tagung bringt auch den ersten Besuch in den mir noch unbekannten Landessammlungen, freilich mit Hindernissen. Die Tiefgaragenbaustelle des Friedrichsplatzes zwingt uns dazu, durch ein Hintertürchen zu schlüpfen. Von dort aus wird die Orientierung im Museum zunächst schwierig, doch dann erstaunt die Größe der Räume, die Qualität vieler Ausstellungsstücke. Ich hätte hier nie ein Museum vermutet und schon gar nicht ein so gutes, denn bis dahin waren mir die Landessammlungen eine vermutete Spitzwegidylle, ein Archiv, in dem ein versponnener Historienschreiber mit französisch klingendem Vornamen originelle sammlungsgeschichtliche Aufsätze schreibt. In eine Arbeitsgruppensitzung präsidiert der Museumsdirektor Dr. Jörg mit patriarchalischer Würde. Er nimmt meine heiteren Anmerkungen zu den Problemen mit Humor und, wie mir scheint, mit Sympathie. Es sind schließlich keine weltbewegenden Dinge, in die man sich in Karlsruhe verbeißen will. Aus meiner unbekümmerten Frankfurter Sicht ist die Sitzung ohnehin nur Beiwerk am Rande wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. Es ist September. Auf einer Exkursion erstaunt mich die Nähe zum Elsass, zu Straßburg, begeistert mich die Schönheit der mir bis dahin unbekannten Vogesen. Unter vorzüglicher Führung werden für mich neue Seiten im Buch der Erdgeschichte aufgeschlagen. Am Ende steht wieder ds für die Jahreszeit erstaunlich frische Grün und die dezente Farbenpracht des frühherbstlichen Schlossgartens. Er wird beschauliches Asyl nach einem Besucher der faszinierenden Kykladen-Ausstellung im Schloss, wo mich die höfliche Aufmerksamkeit der Aufseher von der Türkenbeute vertreibt: sie reichen den einzelnen Vormittagsbesucher im fast leeren Haus durch Blickkontakte einander so dezent weiter, dass ihn bald eine ungemütliche Überwachungsatmosphäre umspielt.
Zwei Jahre später kommt es zu neuer Begegnung mit Karlsruhe. Sie bereitet einen neuen Abschnitt in meinem Leben vor. Eine zurückhaltende, aber ernst gemeinte Bewerbung auf die seit dem überraschenden Tod von Dr. Jörg verwaiste Stelle des Museumsdirektors macht mich zum aussichtsreichen Kandidaten. Einem Frankfurter wird es nicht leicht, Frankfurt zu verlassen, auch wenn das heutzutage nur noch Frankfurter verstehen können. Auf der Rückfahrt vom Skiurlaub wird erstmals eine Unterbrechung auf Höhe Karlsruhe eingelegt. Wer sonnenverbrannt in Anorak und ausgebeulten Hosen vom Urlaub heimkehrt, wirkt leicht abgerissen. Die Kinder betatschen die Scheiben der Mineralienvitrinen und werden schnell von der Aufsicht zurechtgewiesen. "Da wirst Du Dich von den hessischen Verhältnissen ganz schön umstellen müssen!" Dieser Satz meiner Frau wird, auch ohne den Hessenbezug, bald zum Motto.
Am 22. Mai 1978 ist es dann soweit. Ich fahre nach Stuttgart und gerate mitten in den Umbruch des alten Kulturministeriums hinein. Die Urkunde, die mir im neuen Ministerium für Wissenschaft und Kunst Professor Engler überreicht, ist noch vom "alten" Landesvater Filbinger unterschrieben. Nach der Vereidigung werde ich gebeten, mich am nächsten Tage doch selbst in mein neues Amt einzuführen. Karlsruhe ist weit und an hat in Stuttgart alle Hände voll zu tun. So merke ich überdeutlich, dass ich plötzlich auf eigenen Füßen stehe.
Viele im Verhältnis zu einer Stadt bestimmt sich in den ersten Stunden und Tagen der Begegnung. Schon auf dem Weg vom Bahnhof zur Innenstadt komme ich von der geraden Linie ab, da ich in Systemen von sich überwiegend rechtwinklig kreuzenden Straßenzügen groß geworden bin. Am ersten Abend wiederholt sich das Suchspiel in den Ästen des sich spreizenden Stadtfächers, bis die Kaiserstraße zur rettenden Grundlinie wird. Schnell beginnt das Gebiet um den Ludwigsplatz und die Herrenstraße, wo ich mich zunächst als möblierter Herr einnistete, eine heimelige Atmosphäre zu entwickeln. Quartiere wie dieses gibt es ja in allen größeren Städten, Quartiere, die ein Eigenleben führen und doch, wie abgekapselte Organe das größere Stadtganze brauchen. Hier bringt mir schon der erste Morgen in Karlsruhe die Konfrontation mit badischem Selbstbewusstsein: Drei Kriegsjahre auf einer oberschwäbischen Dorfschule ließen mir ein "Grüß Gott" zur Selbstverständlichkeit werden, sobald ich in Süddeutschland bin. Beim Brötchenkauf wird mir dieser Gruß sofort deutlich, wenn auch nicht unfreundlich, mit einem unchristlichen und preußisch kalten "Guten Tag" vergolten, mit kurzer, harter Betonung auf "Tag". In Frankfurt läge die Betonung eher auf dem "Guten", das sich bald zum "Gude" verkürzt. Man sollte in Karlsruhe wohl mit schwäbischen Untertönen immer noch zurückhaltend sein. Hingegen fühle ich mich stets verstanden, wenn ich bei gemütlichen Anlässen, wo der Dialekt hochkommt, hessische Töne anschlage.
Zum Start in Karlsruhe rufe ich alle Mitarbeiter zusammen und führe mich in einer Vorstellungszeremonie in mein neues Amt ein. Dieser erste Tag ist zugleich mein Geburtstag, und natürlich hat schon jemand herausgefunden und weitererzählt. So denke ich zunächst, dass das morgendliche Händeschütteln etwas mit dem Geburtstag zu tun hat. Bald merke ich jedoch, dass es als Sitte im Haus und als Mittel der Kontaktpflege geübt wird. Mir völlig ungewohnt, erinnert es an ein verbürgerlichtes Hofzeremoniell und wird mir zum Symbol der Provinz. Dieser Begriff trifft im positiven Sinne, ohne abwertenden Klang und Beigeschmack, besser auf Karlsruhe zu als viele andere Begriffe. Er bekommt sogar doppelsinnig eine neue Wertigkeit, indem durch das Vivarium sich langanhaltende und engste Beziehungen zur Provence bewähren. Für mich hat die Stadt noch viel vom freundlichen Residenzgeruch bewahrt, der in den meisten anderen, gleichrangigen Städten mit dem Staub der Kriegszerstörungen verflog oder in der Betriebsamkeit des Wiederaufbaus unterging. Ein solcher Hauch provinzieller Residenzatmosphäre tut der Seele gut, besonders dann, wenn er nicht gewollt herbeigezwungen und zum Nostalgiemarkt hochstilisiert ist. Er vermag der Stadt die unpersönliche Kälte des Häusermeeres zu nehmen und bringt die vielzitierte Lebensqualität, die für mich in Karlsruhe schon durch das hoffnungsvolle Grün der Anlagen, Gärten und Parks symbolisiert wird. Und so wird das Leben in dieser Stadt mir, dem durch die Kriegsereignisse auf dem Lande großgewordenen Großstädter, schnell vertraut und lieb. Bald beginnen sich Heimatgefühle einzustellen, und doch versuche ich häufig der distanzierte Beobachter zu bleiben. Er kann bisweilen Dinge sehen, die den Alteingesessenen wohl kaum noch ins Bewusstsein dringen. So beispielsweise das, was ich gleich im ersten Sommer heimlich als den "Karlsruhe Schnakentanz" bezeichnete: Auf Bordsteinen und an den Straßenbahnhaltestellen stehen Bürgerinnen und Bürger der Stadt gedankenverloren auf einem Bein, während der Fuß des anderen mit Innenkante oder Fußrücken vorsichtig und lustvoll die Strecke zwischen Knöchel und Kniekehle reibt. Intensives Kratzen der Handknöchel erhält dabei die Funktion eines Intermezzo. Exzesse freilich, wie das Scheuern ganzer Körperteile an Laternenmasten oder an den Türpfosten der Eisdielen, bleiben freilich das Privileg Einzelner, zudem meist Jugendlicher.
Meine Arbeit in Karlsruhe macht mir von Anfang an Freude und bringt schnell enge Beziehungen zur Stadt und ihren Menschen. Vieles der neuen Aufgabe ist notgedrungen ortsbezogen, denn auch im Naturkundemuseum wird zwangsläufig ein großer Teil der Arbeit durch die Bevölkerung vor Ort mitbestimmt. Als ich Frankfurt verließ, warnte mich eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, eine feine alte Dame, die lange im Konsulat in Basel gearbeitet hatte, vor den Badenern. Die Einzelheiten verschweige ich hier, zumal sich die Warnungen in Karlsruhe nicht bestätigt haben. Natürlich geht vieles nicht nach Wunsch, und menschliche Unzulänglichkeit, Bosheit, Vorurteil und Nachtragend-Sein sind bewährte Stolpersteine - hier wie anderswo. Aber was wäre das Badische Schneckesüpple ohne Salz? Und sicherlich müssen gelegentlich die Schatten ihre kleinen Triumphe feiern und die schwülen Wetterlagen zur Flucht auffordern, damit die Stadt mit der Ruhe ihrer klassizistischen und bürgerlichen Bauwerke, der mir so lieben Farbpalette ihrer Gärten und Parks, der Vielfalt und Schönheit ihrer Umgebung, der abendlichen Beschaulichkeit ihrer Straßen und Biergärten nicht als ein Garten Eden missverstanden wird.

© Verlag Mensch Natur Technik

Römerspuren in der Karlsruher und Umgebung

von Albert Hausenstein / Hans Gelsok (Hrsg.)

Steht man in tiefen Gedanken vor dem im Badischen Landesmuseum verwahrten Ausschnitt aus den Wandmalereien eines römischen Gutshofs zu Wössingen, der uns ein durch seine Naturtreue und Frische der künstlerischen Wiedergabe überraschendes Stillleben, ein gebratenes Huhn von aufreizender Knusprigkeit vorführt, dargestellt in der breiten, impressionistischen Malweise der späten Antike, wie sie uns aus den pompejanischen Gemälden bekannt ist, so kommt man ganz von selbst zu der Überzeugung, dass die Römer während der ungefähr dreihundert Jahre, die sie als Eroberer und Kolonisatoren im Badnerland gehaust hatten, in den von ihnen geschaffenen Denkmälern, Skulpturen, Wandgemälden, Schmuckstücken und den zahlreichen Gebrauchsgeräten aus Bronze, Eisen, Glas und Ton mitunter sogar treffliche Arbeiten hinterlassen haben. Berücksichtig man ferner, dass diese Schöpfungen nur für eine Grenzprovinz des römischen Imperiums, für die Agri decumates >>>, das Zehntland, bestimmt waren, dann steigt unsere Achtung vor den damaligen Künstlern um ein Beträchtliches.
Schon Drusus (um 10 v. Chr.) besetzte Teile des heutigen Baden, vor allem Streifen zwischen Rhein und Schwarzwald, bzw. dem Kraichgauer Hügelland und versah die Landschaft mit Straßen und Kanälen. Tiberius (um 11 n. Chr.), Lucius Domitius Ahenobarbus (37 n. Chr.) und Marcus Vinicius (30 n. Chr.) führten das von Drusus begonnene Werk fort. Seitdem bilden die Agri decumates ein wichtiges Vorland des Römerreichs, eine Art Militärgrenzland, gegen die damals noch unbezwungenen germanischen Stämme. Hier nun verbrachten zahlreiche altershalber verabschiedete Offiziere, Militärbeamte und auch Mannschaften, die so genannten veterani >>>, ihren Lebensabend, erfreuten sich der Thermen zu Aquae Aureliae (Baden-Baden) und anderswo und führten mehr oder weniger ein Dasein cum otio et dignitate, also ein beschauliches Leben mit hohem Ansehen. Außer diesen römischen Veteranen wurden aber auch gallische Ansiedler nach den Agri decumates verpflanzt, welche ihren Pachtzehnten (Agri decumates) zu entrichten hatten, nach welchem das Land seinen Namen erhielt. Auch sie haben mancherlei Spuren, besonders auf kultischem Gebiet, hinterlassen.
Als eine der ältesten Römerstraßen in der Gegend von Karlsruhe gilt jene Querstraße, die Gallien mit den Ostprovinzen des Reichs verband und die von Mainz über Heidelberg bis Oos geführte wichtige zweite Heerstraße geschnitten hat. Diese Querstraße kam aus der Gegend von Au am Rhein und verlief, durch Dammreste nachweisbar, über Busenbach, Reichenbach, Langensteinbach und Ellmendingen nach Pforzheim. Angelegt wurde diese für die Frühgeschichte unserer Heimat so ungemein bedeutungsvolle Straße „… bald nachdem der Legat Cn. Cornelius Clemens um das Jahr 74 n. Chr. seinen Vormarsch auf Argentoratum (Straßburg) durchs Kinzigtal nach Area Flaviae (Rottweil) angetreten und damit die Okkupation des rheinischen Gebiets in die Wege geleitet hat …“ (Fabricius, Die Besitznahme durch die Römer, 1905, S. 36 ff). Bis unter der Herrschaft des Honorius zu Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. die Alemannen auf allen Punkten die Befestigungslinie überrannten, das ganze Zehntland überschwemmten und es den Römern entrissen, mussten etwa 300 Jahre vergehen, während welcher Zeit sich die Römer in unserer Gegend immer mehr zu Hause fühlten. Das beweisen wohl am besten die Ergebnisse der Ausgrabungen. Zahlreiche Funde solcher römischer „Souvenirs“, seien es nun Straßen, Wohngebäude, Landhäuser, Badeanlagen mit Standbildern, Mosaikfußböden, Heizungsvorrichtungen, Gebrauchs- und Luxusgegenstände, welche in den verschiedenen Ortschaften rings um Karlsruhe gemacht wurden, zeugen von der Herrlichkeit dieser frühen Kultur. Auf dem Killisfeld bei Aue (Amt Durlach) fand man 1856 eine Münze des Kaisers Antonius Pius (138 – 161). In der Pfinzniederung, am Ostrand von Berghausen, wurden 1926/27 beim Lehmstechen fünf Römergräber frei gelegt und untersucht. Nach den Grabbeigaben (Sigillaten3 etc.) stammen diese aus der Wende des 1. zum 2. Jahrhundert n. Chr. Am Fußweg von Blankenloch nach Büchig stieß man 1897 auf Reste eines römischen Kalkofens >>> mit Leisten und Hohlziegeln, Tongefäßscherben und Nägeln.
Anderthalb Kilometer östlich der Römerstraße Mühlburg – Graben, am „Bürgelbrunnen“ im Hardtwald, entdeckte man beim Ausroden des Waldes „rotes Porzellan“ (Sigillaten) und etliche römische Münzen, wie sich solche auch auf Bulacher Gemarkung, bei Forchheim, Hohenwettersbach, im Wolfartsweierer „Schatzwäldle“ und an vielen anderen Orten vorgefunden haben. Sehr interessant ist der 1880 im „Faulbruch“ bei Daxlanden zutage geförderte römische Votivstein, der dem Gott Jupiter von Publius Veratiuts Florus geweiht worden war. Überreste aus den Tagen der Römerherrschaft traten an verschiedenen Stellen der Gemarkung Durlach ans Licht, so z. B. in den „Götzenstückern“ ein Gebäude, auf den „Storenäckern“ Tonscherben, desgleichen ein Römerbau nördlich der Dampfziegelei zwischen Durlach und Grötzingen und ebenso das Grabmal eines hundertjährigen Veteranen. Von der Burgruine auf dem Turmberg stammt ein Isisfigürchen aus Bronze, gefunden im romanischen Mörtel. Zusammen mit dem 1942 in Ettlingen aufgestöberten Kopf des persischen Lichtgottes Mithras, wo übrigens auf dem Holzhof 1926 ein eigenartiges Mauergewölbe mit merkwürdigem Inhalt aufgedeckt wurde (u. a. die Statue einer sitzenden Gottheit mit einer Eule, wohl die Minerva darstellend), sind diese beiden zuletzt genannten Funde. Beweise für die schon damals im Römerreich allenthalben verbreitet gewesenen orientalischen Kulte. Die kostbarsten und feinsten Stücke aus der langen Reihe der Ettlinger Römerfunde jedoch entstammen der Fundstelle im Hardtwald bei St. Johann (Gemeinde Mörsch), eine Stunde westlich von Ettlingen. In der Hauptsache handelt es sich um Kleingegenstände wie Urnen, Töpfe, Schälchen, Metallspiegelchen, ein tadellos erhaltenes Saugkännchen, das gewissermaßen römische Gegenstück zum heutigen Lutscher, usw. Und schließlich: Wem wäre wohl der Ettlinger Neptun unbekannt, jenes Geschenk des Cornelius Aliquandus an die dortige Schiffergilde? Zweifellos war Ettlingen schon zur Römerzeit ein sehr wichtiger Platz, an dem alle Römerstraßen zwischen Murg und Pfinz zusammenliefen. Bemerkt sei noch, dass mit der hier aufgefundenen Bronzemünze des Magnentius (350 – 353) eine der spätesten Datierungen der Römerherrschaft in unseren Landen gegeben ist. Auch die Gegend von Graben war römisch besiedelt; zwei entsprechende Fundstätten in den „Burglichäckern“ und in den „Kreuzwiesen“, wie auch eine solche Wohnstelle zwischen Linkenheim und Graben sprachen dafür. Ein altrömisches Badegebäude mit Badebecken und Hypokaustenanlagen >>> wurde westlich von Grötzingen, am „Stahlbuhl“, ausgegraben. Ein römerzeitliches Dorf bestand in Grünwinkel, in dessen Nähe man schon früher in der Alb eine Sandsteinstatue der Diana Abnoba, der römischen Schwarzwaldgottheit, aufgefunden hatte. Brandgräber aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, drei römische Ziegelöfen, ein Kellergelass mit einem Merkurtorso, ein der Diana geweihter Steinaltar und ein Weiherelief mit einem sitzenden Götterpaar wurden 1925 dem Licht des Tages zurückgegeben. Überbleibsel von kleineren römischen Gebäuden sind uns im Gewann „Straßenäcker“ auch in Hochstetten bekannt, während von dem Altertumsforscher Bonnet solche auch in den „Stein- und Schelmenäckern“ im Gewann „Wasserland“ bei Jöhlingen festgestellt werden konnten. Ein römischer Steinsarkophag, so wird erzählt, soll daselbst als Brunnentrog benutzt werden. Die Steine einer so genannten „Jupitersäule“ fand man beim Abbruch der alten Kirche zu Kleinsteinbach, das auch das Bildnis der Göttin Fortuna beigesteuert hat. Geradezu berühmt aber ist der teilweise der frühvespianischen Zeit (um 70 n. Chr.) angehörende römische Friedhof westlich Knielingen, der 1927 überraschend reiche Ausbeute an Grabungsbeigaben, u. a. schöne Scharnierfibeln aus der Frühzeit der Besetzung des Dekumantenlandes, wie man eine ähnliche auch von Muggensturm kennt, ferner kantige Glasflaschen geliefert hat. Über die Stelle aber, wo die hier Bestatteten gewohnt haben, ist meines Wissens bisher noch nichts ermittelt. Vielleicht wäre an ein über den Rhein verschobenes Fort zu denken. Der auffallend hohe Mörscher Steintisch, der Viergötterstein, die hier gefundenen Urnen mit Brandresten und vor allem der reiche Münzenfund von 1894 lassen auch an diesem Ort römische Entstehung auf den Mauern eines Gutshofes stark vermuten.
Westlich von Welschneureut wurde bei Rodungsarbeiten im Wald 1886 eine spätrömische emaillierte Rundscheibenfibel der Erde entnommen.
Bautrümmer römischer Herkunft sind auch in Söllingen nachgewiesen, wo übrigens auch das am Chorturm der Kirche unter der östlichen Schallöffnung eingemauerte Fragment eines römischen Reliefs des Herkules, fast in Lebensgröße, herabgrüßt. Man schrieb im Mittelalter diesen steinernen Göttern und Halbgöttern teuflische Kräfte zu und mauerte sie deshalb in die Außenwände der Kirchen ein, um sie zu bannen.
Dass auch das alte Staffort auf römischen Ursprung zurückgeht, beweisen vier daselbst gefundene Teller aus Terra sigillata (Sigillaten) >>> .
Nicht übergangen seien des weiteren jenes Steindenkmal aus Sulzbach im Amt Ettlingen, das uns die Gottheiten Dispater und Aerecura, italische Totengötter, zeigt, sowie die schlanken, in Haltung und Bewegung auffallend gut ausgewogenen Gestalten aus dem Viergötterstein von Schöllbronn. Römische Fragmentreste entdeckte der bereits genannte Ingenieur Bonnet bei der Oberen Mühle in Weingarten, auch bei der Ruine der Tiefburg Schmalenstein, desgleichen im so genannten „Brettener Grund“. Eine spätrömische Bronzefibel mit Emaileinlage fand sich in der Flur „Heidengasse“. Spuren römischen Mauerwerks endlich liegen auch zwischen den „Schlossäckern“ und den „Schelmenwiesen“ zu Wöschbach.


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Die Eroberung Karlsruhes

von Christoph Ohlrogge

In der Nacht des 3. April stießen die erste französische Armee und Panzerverbände der siebten US-Armee von Blankenloch kommend in Richtung Süden und Südosten vor. Daher bestand für die 257. Volksgrenadierdivision, die eigentlich die Verteidigung Karlsruhes übernehmen sollte, Einkesselungsgefahr. Da Blankenloch nun verloren gegangen war, und die Front auf dem Karlsruher "Nordriegel" viel zu breit war, um einen gezielten alliierten Angriff zurückzuschlagen, und außerdem durch die in Eggenstein und Blankenloch stehenden Panzertruppen ein Zangengriff drohte, beschloss der "1a" der Berliner "Bärendivision", Oberstleutnant Ernst Linke, die Verteidigungsstellung zu verlassen und zur Schwarzwaldrandstellung zurückzuweichen. Drei Regimenter erhielten als Nachhut den Befehl, den Nordriegel zu halten und später abzurücken.
Währenddessen stieß der französische Vorstoß ins Leere, weil sich die 257. VGD schnellstmöglich zurück gezogen hatte. Der Oberbefehlshaber der ersten französischen Armee, General Lattre de Tassigny, rechnete mit einer starken Verteidigung Karlsruhes, und ließ so seine Truppen nur vorsichtig sichernd vorrücken. Noch in der Nacht wurde Neureut von marokkanischen Einheiten besetzt, wenig später standen Panzerspitzen in Knielingen. Als die an der nicht mehr befahrbaren Rheinbrücke stationierten deutschen Pioniere das Fahrge räusch der ersten anrückenden Panzer hörten, sprengten sie die Brücke in die Luft. Weitere Sprengungen von Häusern, deren Trümmer dann als Panzersperre dienen sollten, wurden größtenteils von der Polizei ver hindert. Schließlich gingen die marokkanischen Panzer und Infanteristen im Schloßpark in Stellung, von wo sie die planmäßige Eroberung der Stadt vorbereiteten.
Im Morgengrauen des 4. Aprils wurden die Barrikaden im inneren Verteidigungsring der Stadt mit Hitlerjungen, Volkssturmmännern und Luftwaffensoldaten bemannt. Größtenteils waren diese Einheiten mit Panzerfäusten ausgerüstet, um die gefürchteten französischen Panzer zu zerstören. In den Kellerräumen und Luftschutzbunkern wurde nach Fahnenflüchtigen und Wehrfähigen gesucht, wer gefunden wurde, musste sofort bei der Verteidigung mithelfen. Die meisten Volkssturm einheiten marschierten in Richtung Schwarzwaldrandstellung, wurden aber schon bald wegen schlechter Ausrüstung und Munitionsmangel wieder zurückgeschickt.
Am Morgen begannen dann die Franzosen, mit zwei Divisionen in Stoßkeilen aus verschiedenen Richtungen die Stadt anzugreifen. Nur wenige deutsche Soldaten, die sich noch in Karlsruhe befanden, leisteten Widerstand. Einige Nachhuten der 257. VGD kreuzten auf ihrer Flucht das Blickfeld der Franzosen, konnten aber noch entkommen. Im Großen und Ganzen wurde den Angreifern entgegen des Berichts der Wehrmacht und des Berichts von General Lattre de Tassigny fast gar kein Widerstand geleistet. Die wenigen zurückgebliebenen Volkssturmmänner und Polizisten bemerkten erst jetzt, dass sich die "Bärendivision" in den Schwarzwald abgesetzt hatte, obwohl der Kampfkommandant am vorherigen Tag noch lautstark verkündet hatte, die Stadt sei um jeden Preis zu halten.
Gegen acht Uhr gab es bei der Orangerie ein Feuergefecht zwischen französischer Infanterie und einer Abwehrgruppe, die von einem Luftwaffenoffizier geführt wurde. Die Gruppe zog sich dann wenig später zurück, als sie merkte, dass der Widerstand sinnlos wurde. Sowohl am Mühlburger als auch am Durlacher Tor gab es leichte Gefechte, sowie am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz). Allerdings gaben die Verteidiger sofort auf, wenn Panzer ihre Geschütze in die Barrikaden hineinfeuerten. Nur am Mühlburger Tor feuerte ein Hitlerjunge die einzige verbliebene Panzerfaust auf einen französischen Panzer ab und wurde von diesem erschossen.
Um 8.30 Uhr gab es ein heftiges Gefecht am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz). Polizisten, die sich hinter Sandsäcken vor dem Polizeipräsidium verschanzt hatten, eröffneten das Feuer auf die französischen Panzer und die Infanteristen, die vom Schlossplatz aus in Richtung Süden vorstießen. Die Franzosen schossen nun natürlich aus allen verfügbaren Rohren, und brachten auch Maschinengewehre in der Dresdner Bank und im Hiller-Block in Stellung, um das Polizeipräsidium zu beschießen. Die Panzer feuerten vor allem auf die Barrikade am Ettlinger Tor, wo auch einige Polizisten in Deckung lagen. Die hatten allerdings den gegnerischen Angriff aus der Gegenrichtung erwartet, und wollten nun zur Unterstützung ihrer Kollegen nach Norden über die Karl-Friedrich-Straße vorstoßen. Am Rondellplatz jedoch starben sie im Feuer eines Panzers, der hinter der Marktplatzpyramide in Stellung gegangen war. Die Besatzung des Polizeipräsidiums sprengte daraufhin den Befehlsstand im Keller und verließ das Gebäude durch den Hinterausgang. Sie flüchteten nach Ettlingen und schlossen sich dort mit versprengten Polizisten zusammen. Die Polizisten, die versuchen, durch den Landgraben zu fliehen, werden am Messplatz von einer französischen Einheit festgenommen.
Das in Eilmärschen aus Heilbronn herbeigeführte Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 380 folgte dem Beispiel der 257. VGD. Statt die französische Armee in Häuserkämpfe zu verwickeln, und bei der Verteidigung der Heimatstadt zu sterben, lief die gesamte Truppe einfach auseinander und löste sich praktisch auf.
Die Stoßkeile der Franzosen vereinigten sich in der Innenstadt. Von dort aus begannen sie mit dem systematischen Durchkämmen der Straßen und Häuser. Um 10.30 Uhr schlug General Jean-Etienne-Valluy, Kommandant der 9. Kolonial-Infanterie-Division, im Polizeipräsidium am Adolf-Hitler-Platz (Marktplatz) sein Hauptquartier auf. Gegen 11.00 Uhr waren die Innenstadt, der Westen, der Süden bis zum Hauptbahnhof und die östlichen Stadtteile außer Durlach und Durlach-Aue von den Franzosen besetzt. Größtenteils kampflos war die Stadt geräumt worden, und es waren (noch) keine Gebäude und Zivilpersonen zu Schaden gekommen. Anders wurde dies im Bericht der 257. VGD dargestellt: "Aus dem Einbruchsraum am Schloss setzte der Feind seinen Angriff im Zuge der nunmehr strahlenförmig nach allen Richtungen der Stadt auseinanderführenden Straßen fort, trieb damit zwangsläufig die Kräfte des Grenadier-Regiments 466 auseinander und drängte es in erbitterten Häuserkämpfen und unter erheblichen eigenen Verlusten durch die Stadt nach Süden"(Josef Werner, Karlsruhe 1945 - unter Hakenkreuz, Trikolore und Sternenbanner, S. 83). Auch General Lattre de Tassigny sparte nicht mit Übertreibungen: "Heftige Kämpfe entbrennen an den mit Betonmauern verriegelten Zugängen zur Stadt Karlsruhe". Da die Meldung der 257. VGD einige Zeit später im Radio gesendet wurde, zweifelten die Bewohner Karlsruhes, die ja die Erstürmung miterlebt hatten, endgültig an der Glaubwürdigkeit der Wehrmachtsberichte.

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Das Verhalten der französischen Besatzungsmacht gegenüber der Bevölkerung und die Verwaltung durch das Militär

von Bärbel Ratzel

Nachdem das französische Militär die Macht übernommen hatte (siehe: Eroberung), war die Bevölkerung den Besatzern völlig hilflos ausgeliefert. Plünderungen waren an der Tagesordnung, oft waren diese sogar vom Kommando der Franzosen organisiert. Ganze Konvois aus Lastwagen, die mit Lebensmitteln beladen waren, rollten nach Frankreich.
Zur Zeit der deutschen Besatzung hatte die französische Zivilbevölkerung sehr gelitten, die gesamte Produktion war am Boden zerstört und musste erst langsam wieder aufgenommen werden, so dass den Leuten die Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände aus Karlsruhe und Umgebung sehr gelegen kamen. Berichten eines französischen Offiziers zufolge hatten die Soldaten noch nirgendwo soviel Beute gemacht wie in Karlsruhe. Es kam zu Vergewaltigungen, vor allem durch die Kolonialsoldaten, die es als selbstverständlich erachteten, dass die Frauen des Gegners nach dem Sieg ihr Besitz waren. Allerdings gab es auch Offiziere, die versuchten, durch ihre Befehlsgewalt das Schlimmste zu verhindern. Auch waren die Übergriffe auf die Frauen nicht von der französischen Führung gewollt, so wurden z.B. Agenten zur anonymen Befragung von Zivilpersonen eingesetzt, damit sich die Militärregierung selbst ein Bild der Lage machen konnte.
Um die Probleme der Deutschen kümmerten sich die Besatzer vorerst natürlich nicht besonders. Ihre besondere Aufmerksamkeit galt den befreiten KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern, außerdem mussten sie die schon erwähnten Lebensmitteltransporte nach Frankreich organisieren.
Später begannen sie dann hauptsächlich mit der Gefangennahme von ehemaligen Parteigenossen zur Zwangsarbeit und Schutträumung und mit der Entnazifizierung.
Josef Heinrich, der die Stadtgeschäfte seit dem Abmarsch der Volkssturmeinheit "Stoßtrupp Stadt" unter Oberbürgermeister Dr. Hüssy geführt hatte, wurde der kommissarische Bürgermeister Karlsruhes (Schilderung von J. Heinrich über seine Einsetzung: ). Er teilte die Stadt in 16 Bezirke auf. So wollte man besser auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingehen können, und außerdem den Verwaltungsaufwand für die Entnazifizierung verringern.
Sitz des neuen Bürgermeisteramtes wurde das Verwaltungsgebäude der Stadtwerke an der Kaiserallee. Oberrechtsrat Gut, der auf der Suche nach dem festgenommenen Josef Heinrich (Schilderung von J. Heinrich über seine Festnahme: )ins Polizeipräsidium ging, wurde kurzerhand von den Franzosen zum Polizeipräsidenten ernannt, konnte diesen unfreiwillig erworbenen Posten jedoch schon bald wieder abgeben, da die gesamte Polizei festgenommen und nach Frankreich gebracht wurde. Die Aufgaben der 16 Bezirksverwaltungen waren sehr vielschichtig: Die Organisation von Kartoffelkäfer-Suchaktionen gehörte ebenso dazu wie Bevölkerungszählungen und die Betreuung von KZ-Häftlingen und Flüchtlingen. Die Franzosen begannen, eine neue Polizei aufzubauen, die aus ehemaligen Straßenbahnschaffnern bestand. Georg Kaenemund, ein Fremdenlegionär, der in Karlsruhe im Gefängnis gewesen war, wurde zum Polizeipräsidenten ernannt. Er schlug sofort vor, Konzentrationslager für Kinder einzurichten sowie Bordelle, um die Übergriffe auf die weibliche Bevölkerung zu mindern. Glücklicherweise setzte sich die Idee des Konzentrationslager nicht durch. Es wurden jedoch Gebäude geräumt, um dort Bordelle einzurichten. Die Zahl der Vergewaltigungen ging daraufhin sehr stark zurück ...

© Stadtarchiv Karlsruhe